Spieltheoretische Modelle von Maynard-Smith – Warum bekämpfen sich Tiere nicht immer?

Bei vielen Tieren kommt es zu Konkurrenz um Ressourcen – sei es um Zugang zu Nahrung oder zu Weibchen. Der Gewinner einer solchen Konkurrenz wird in vielen Fällen unblutig bestimmt. Nun stellt sich die Frage, warum die Konkurrenten sich stattdessen nicht immer bekämpfen, bis ein eindeutiger Gewinner hervorgeht und stattdessen nur Drohgebärden austauschen? Basierend auf der damals verbreiteten Gruppenselektionstheorie hat man lange vermutet, dass Tiere durch den Kampf und die gegenseitige Verletzung das Überleben der Art gefährden. Inzwischen hat man jedoch herausgefunden, dass die Gruppenselektionstheorie überholt ist, jedes Individuum versucht nur, seine persönliche Genweitergabe zu maximieren.
Daraus hervorgehend, sollte jeder Kampf durch die Ansammlung von Kosten und Nutzen entschieden werden. Um einen Vergleich zwischen Kosten und Nutzen ziehen zu können, sind spieltheoretische Modelle wie von Maynard-Smith 1976 vorgestellt, wichtig. Im Grunde wird angenommen, dass es Individuuen innerhalb einer Art gibt, die unterschiedliche Strategien verfolgen, um ihren Erfolg zu maximieren.

Dieses spieltheoretische Modell ist auch gut bekannt unter dem Namen „Falke-Taube-Spiel“ oder „Falke-Taube-Bourgeois-Spiel“ und wird nun im Folgenden vorgestellt.

Die Nutzen und Kosten in diesem Modell sind wie folgt verteilt:
Gewinner +50
Verlierer 0
Drohen -10
Verletzung -100
Positive Punkte sind anzusehen als Fitnessgewinn (Zugang zu Weibchen oder Nahrung), negative Punkte als Fitnessverlust des Individuums.

Das Falke-Taube-Spiel

Es gibt in diesem Modell „Falken“, die immer bis zur Verletzung um den Sieg kämpfen. Darüber hinaus gibt es „Tauben“, die maximal eine Drohgebärde zeigen und nie bis zur Verletzung kämpfen, sondern vorher aufgeben. Diese zwei Strategien spiegeln die beiden Extreme in Auseinandersetzungen in der Natur wieder.

Folgende Spielsituationen und Spielergebnisse werden angenommen:
Trifft ein Falke auf einen Falken, gewinnt er in der Hälfte der Fälle, in der anderen Hälfte der Fälle verliert er und zieht sich eine Verletzung zu.
Trifft ein Falke auf eine Taube, gewinnt stets der Falke und die Taube verliert, da sie flieht
Treffen zwei Tauben aufeinander, kommt es immer zu einer Drohgebärde von jeder Seite und in der Hälfte der Fälle gewinnt eine Taube, in der anderen Hälfte der Fälle verliert sie.
In der folgenden Grafik sind die erzielten Punkte für den Angreifer dargestellt.

Jetzt stellt sich die Frage, wie die Evolution nun in der Verteilung der Falken und der Tauben vorgeht.
Angenommen die komplette Population einer Art würde nach der Taubenstrategie agieren und immer +15 Punkte gewinnen. Jetzt würde ein zufällig auftretender „Falke“ gegenüber den „Tauben“ einen enormen Vorteil haben, da er aus jeder Konfrontation +50 Punkte ziehen kann. Das zeigt, dass die Taubenstrategie alleine keine evolutionsstabile Strategie sein kann.
Im Gegensatz dazu nehmen wir jetzt an, dass alle Mitglieder der Population nach der Falkenstrategie agieren würden. Dabei würden bei jeder Konfrontation 25 Punkte verloren gehen und eine zufällig auftretende „Taube“ würde dadurch, dass sie mit 0 Punkten keine Verluste davonträgt, sich in der Population durchsetzen. Also kann auch die Falkenstrategie alleine nicht existieren.

Ein evolutionsstabiles Gleichgewicht kann also nur entstehen, wenn es jeweils von den „Falken“ und den „Tauben“ einen bestimmten Anteil in der Population gibt. Dadurch müsste jeder Falke und jede Taube den gleichen Gewinn erzielen. Diese Zusammensetzung der Population kann man wie folgt berechnen. f ist hierbei die Proportion der Falken in der Population, also ist (1-f) der Anteil der Tauben.

Falken= (-25 x f) + (50 x (1-f))
Tauben= (0 x f) + (15 x (1-f))
Das evolutionsstabile Gleichgewicht lässt sich berechnen, indem man Falken und Tauben gleichsetzt, also:
(-25 x f) + (50 x (1-f)) = (0 x f) + (15 x (1-f))
Löst man diese Gleichung nach f auf, so ergibt sich:
f = 7/12, (1-f) = 5/12.

Das zeigt, damit das Falke-Taube-Spiel eine evolutionsstabile Strategie werden kann, muss der Anteil der Falken in der Population 7/12 bzw. 58,33% sein, während der Anteil der Tauben 5/12 bzw. 41,67% sein muss.
Jedoch muss nicht jedes Individuum sein Leben lang auf eine der beiden Strategien fixiert sein, sondern kann auch bei jedem Kampf mit den oben berechneten Wahrscheinlichkeiten entweder „Falke“ oder „Taube“ als Strategie wählen.

Der durchschnittliche Gewinn für jedes Individuum wären bei diesem Verhältnis 6,25 Punkte pro Auseinandersetzung. Jedoch ist diese Punkteverteilung nicht das Optimum für jedes Individuum, es wäre besser, alle würden „Taube“ spielen, wo jedes Individuum bei jeder Auseinandersetzung durchschnittlich 15 Punkte erzielen könnten. Jedoch ist, wie oben schon gesagt, dieses Prinzip empfindlich gegenüber der Ausnutzung eines/weniger Individuuen, die die Falkenstrategie adoptieren. Das evolutionsstabile Gleichgewicht ist hingegen immun gegen solche Ausnahmen und verhindert das Ausnutzen der Population zum eigenen Vorteil.

Das Falke-Taube-Bourgeois-Spiel

Die bisherigen Annahmen waren darauf beschränkt, dass es nur zwei verschiedene Strategien in der Population gibt. In dem folgenden Modell berücksichtigen wir noch eine dritte Strategie: „Bourgeois“. Diese Strategie verhält sich als Besitzer eines Gebietes wie ein Falke, als Eindringling in das Gebiet eines Anderen wie eine Taube. Es wird angenommen, dass ein „Bourgeois“ – Individuum in der Hälfte der Fälle ein Besitzer, in der anderen Hälfte, der Eindringling ist. Zwischen zwei aufeinander treffenden „Bourgeois“ – Strategien gibt es nie eine Drohung oder eine Verletzung, sondern nur Gewinner und Verlierer. Die Auszahlungen an den Angreifer sind damit, wie in der folgenden Grafik dargestellt:

Im Gegensatz zu einer reinen „Falken“ oder „Tauben“ – Population ergibt sich bei einer rienen „Bourgeois“ – Population folgendes Bild: Der durchschnittliche Gewinn einer Auseinandersetzung ist +25. Würde es einen „Falken“ in dieser Population geben, würde dieser nur +12,5 Punkte bekommen. Würde es eine „Taube“ geben, würde diese nur +7,5 Punkte erhalten. Damit ist die „Bourgeois“-Strategie stabil gegenüber anderen Strategien und ist die einzigste, die in ihrer Reinform ein evolutionsstabiles Gleichgewicht darstellt.

Schlussfolgerungen und Erkenntnisse aus den Modellen

Diese Modelle sind so simplifiziert, dass sich dem Leser die Frage stellt, inwiefern diese uns helfen können, die deutlich komplexeren Verhältnisse in der Natur zu verstehen. Aus den zuvor vorgestellten Modellen lassen sich folgende Erkenntnisse ziehen:

Die beste Kampfstrategie für ein Individuum hängt davon ab, was die anderen Konkurrenten für eine Strategie anwenden. Eine Strategie ist nur dann nützlich, wenn sie die Schwächen der anderen Strategien der Population ausnutzen. Beispielsweise ist ein „Falke“ nur dann effektiv, wenn der Grossteil der Population nur „Tauben“ sind.

Die evolutionsstabile Strategie hängt davon ab, welche Strategien vorhanden sind. Das konnte man daran sehen, dass die evolutionsstabile Strategie beim Falke-Taube-Spiel eine andere war als bei dem Falke-Taube-Bourgeois-Spiel. In der Natur lässt sich oft sehen, dass Auseinandersetzungen selten nach einem Schema ablaufen sondern meist eine Abwechslung von Drohgebärden und Kampf sind. Diese Beobachtung stimmt mit der Berechnung aus dem Falke-Taube-Spiel überein.

Die evolutionsstabile Strategie hängt auch von den Auszahlungswerten der unterschiedlichen Kampfergebnisse ab. Je nachdem, wie viel Gewinn oder Verlust ein Individuum aus einem Kampf ziehen kann, ändert sich die evolutionsstabile Strategie. Beispielsweise würde die evolutionsstabile Strategie sich komplett ändern, wenn eine Verletzung nur -50 Punkte oder deutlich mehr, also -500 Punkte mit sich ziehen würde.